Hustle-Culture vs. Work-Life-Balance

Hustle-Culture  vs.  Work-Life-Balance

In der heutigen Gesellschaft scheint es manchmal, als würde Produktivität über allem stehen. Die Hustle-Culture, die stetige Effizienz propagiert, hat sich weit verbreitet. Menschen, die sich bis zum Burnout überarbeiten, werden oft nicht nur akzeptiert, sondern regelrecht gefeiert. Viele beschweren sich zwar über den Stress und die wenige Freizeit, identifizieren sich aber gleichzeitig stark damit. Diese Haltung wird als etwas Positives dargestellt – ein Zeichen für Engagement und Erfolg.

Es wird suggeriert, dass ein Leben ohne ständigen Stress und ohne das Streben nach Produktivität minderwertig sei. Diese Ansicht möchte ich hinterfragen. Wir sollten uns fragen, ob dieser Lebensstil tatsächlich mit unseren eigenen Werten übereinstimmt oder ob wir uns nur von der Gesellschaft dazu drängen lassen, weil es momentan als erstrebenswert gilt.


Letztendlich geht es um die eigene Lebenszeit und wie man diese – im Rahmen der individuellen Möglichkeiten – verbringen möchte. Wir wurden alle in diese Welt geboren, ohne wirklich zu wissen, was unsere Lebensaufgabe ist. Ich bin der Meinung, dass so etwas wie ein universeller Sinn nicht existiert, sondern dass die Frage nach dem Sinn des Lebens eine höchst individuelle durchaus wandelbare ist. Jeder hat eigene Vorstellungen davon, wie das „gute Leben“ aussehen könnte und was erstrebenswert im Leben ist.

Wenn wir für einen Moment ausblenden, was in der Gesellschaft als positiv angesehen wird, können wir uns ehrlich fragen: Was will ich eigentlich? Wie will ich mein Leben gestalten? Welche Ziele möchte ich verfolgen? Welche Werte vertreten? Wie stehe ich in Verbindung zu anderen? Wie möchte ich am Ende meines Lebens auf dieses zurückblicken? Nicht für jeden steht Arbeit und ständige Produktivität an erster Stelle.


Im Gegensatz zur positiven Sicht auf die Produktivität wird Faulheit in unserer Gesellschaft oft negativ betrachtet. Wer faul ist, wird schnell als unmotiviert, ziellos oder sogar weniger wertvoll angesehen. Doch Faulheit hat in meinen Augen auch eine wertvolle Seite. Sie ist nicht unbedingt ein Zeichen für fehlende Motivation, sondern kann vielmehr die Möglichkeit bieten, sich zu erholen, zu reflektieren und Dinge zu tun, die keinen messbaren Output haben. So kann Faulheit auch Raum schaffen für Regeneration, Kreativität und den Fokus auf den Prozess, statt nur auf das Ergebnis.

Es gibt viele Tätigkeiten, die nicht produktiv im klassischen Sinn sind, aber dennoch enorm bereichernd – etwa ein kreatives Projekt, das einfach nur Freude bereitet, ein Spaziergang, bei dem man die Gedanken schweifen lässt, eine Pause auf der Gartenliege, während man die Sonne und das Vogelgezwitscher genießt oder ein tiefgehendes Gespräch mit einem nahestehenden Menschen. Diese Momente der Ruhe und des „Nichtstuns“ ermöglichen es uns, den Moment wirklich zu erleben und den Fokus auf das Hier und Jetzt zu richten. Faulheit in kein Zeichen von Schwäche, sondern meiner Ansicht nach ein wesentlicher Bestandteil eines ausgewogenen Lebens – ebenso wichtig wie aktiv zu sein und etwas beizutragen, das man selbst als sinnvoll erachtet.


Ein weiterer Zustand, der oft mit Faulheit in Verbindung gebracht wird, ist Langeweile. Langeweile hat einen schlechten Ruf, wird als ein Zustand der Unproduktivität und Leere wahrgenommen. Doch genau in dieser vermeintlichen Leere können wir neue Energie schöpfen. Langeweile bietet uns die Gelegenheit, uns selbst zu reflektieren und unsere Gedanken zu ordnen. Sie lässt uns zur Ruhe kommen, ohne dass wir uns ständig mit äußeren Reizen ablenken müssen.

Ob während einer Meditation, eines Spaziergangs, beim ungestörten Essen, beim Warten im Supermarkt oder beim Duschen – genau in diesen stillen Momenten kommen uns oft die besten Ideen. Langeweile öffnet den Raum für Kreativität und hilft uns, wieder in Verbindung mit uns selbst zu treten. Zu reflektieren, wer wir sind und wie wir das eigene Leben gestalten möchten. Wenn wir diesen Zustand nie zulassen und uns ständig mit Arbeit oder Unterhaltung ablenken, verpassen wir die Chance, uns selbst besser kennenzulernen und neue Perspektiven zu entwickeln.


Schließlich ist die Work-Life-Balance ein weiteres zentrales Thema, das die bereits angesprochenen Konzepte zusammenführt. Die Frage hierbei ist, wie wir unsere Zeit zwischen Arbeit und Freizeit am besten aufteilen sollten. Dabei gibt es keinen universellen „richtigen“ Weg. Für manche Menschen ist die Arbeit ein zentraler Lebensinhalt, sie finden darin Erfüllung und Sinn und investieren viel Zeit und Energie in ihre beruflichen Ziele. Das ist völlig legitim und eine sehr bereichernde Erfahrung. Andere wiederum legen mehr Wert auf private Interessen, Familie oder persönliche Projekte. Diese Menschen möchten ihre Energie in andere Lebensbereiche stecken, die sie als wichtig empfinden. Und auch das ist vollkommen in Ordnung.

Wenn man sich dazu entscheidet, weniger zu arbeiten nimmt man in der Regel ein geringeres Einkommen in Kauf. Dazu kann man sich – wenn man denn möchte und die Möglichkeit dazu hat – bewusst entscheiden. Es ist eine Abwägung, wie viel einem die eigene Zeit wert ist und für was man sie einsetzen möchte. Für mich persönlich ist Zeit, die ich frei gestalten kann, extrem wertvoll. Wertvoller als ein paar mehr Euro auf dem Konto. Das bedeutet manchmal, genügsam zu leben und sich auf Essentielles zu fokussieren, nicht gedankenlos übermäßig zu konsumieren. Für mich macht dieser Lebensstil Sinn – aber das ist natürlich eine persönliche Entscheidung. Selbstverständlich sieht es nicht jeder so, wie ich.


Hier kommt ein weiterer wichtiger Aspekt ins Spiel: Empathie. Jeder Mensch hat seine eigenen Werte, Ziele und Vorstellungen vom Leben. Was für den einen wichtig ist, muss nicht zwangsläufig für den anderen gelten. Nur weil jemand seine Arbeit als besonders bedeutend erachtet, heißt das nicht, dass jemand anderes denselben Fokus auf Arbeit legen muss. Genauso wenig sollte jemand, dessen Lebenssinn darin besteht, Kinder zu haben, diesen einfach auf andere übertragen. Und jemand, der leidenschaftlich Tennis spielt, sollte auch nicht erwarten, dass diese Sportart die richtige für jeden anderen ist. Ich denke, man versteht, worauf ich hinaus möchte.

Es ist wichtig, zu akzeptieren, dass Menschen unterschiedliche Bedürfnisse und Prioritäten haben. Das hat nichts mit Egoismus oder Narzissmus zu tun. Empathie bedeutet, sich in andere hineinzuversetzen und zu verstehen, dass deren Lebensweg, Ziele und Werte nicht mit den eigenen übereinstimmen müssen. Diese Erkenntnis finde ich besonders wichtig, wenn man Kinder hat: Sobald ein Kind eigene Interessen und Vorlieben entwickelt, sollte man es darin fördern – natürlich solange es keinem dabei schadet. Stattdessen beobachte ich immer wieder, dass Eltern ihren Kindern ihre eigenen Vorstellungen vom Leben aufzwingen möchten, ihre Hobbies aufdrängen, ungeachtet ob das Kind daran Freude hat, oder ihren Kindern den Bildungs- und Berufsweg vorschreiben wollen. Das macht aus meiner Sicht einfach keinen Sinn.


In unserer heutigen Zeit beobachte ich zudem einen starken Optimierungsdrang – sei es im Beruf oder im Privatleben. Vor allem auf den sozialen Medien wird uns suggeriert, man müsse in allen Lebensbereichen das Beste erreichen und sich ständig optimieren. Doch das ist nicht für jeden realistisch oder auch erstrebenswert. Natürlich ist es gesund und wichtig, Ziele im Leben zu haben und sich weiter zu entwickeln. Aber muss man wirklich in jedem Lebensbereich das „Ideale“ erreichen oder „Außergewöhnliches“ leisten? Es kann ermüdend sein, ständig zu versuchen, in jedem Lebensbereich Perfektion anzustreben und nie mit dem jetzigen Stand zufrieden zu sein oder diesen zumindest für den Moment zu akzeptieren.

Letztlich ist es entscheidend, dass jeder seine eigene Work-Life-Balance findet – eine Balance, die den eigenen Bedürfnissen und Werten entspricht. Es gibt keine allgemeingültige Antwort darauf, was die „richtige“ Balance ist, weil jeder Mensch einzigartig ist. Was für den einen funktioniert, muss nicht für den anderen der richtige Weg sein. Die Herausforderung liegt darin, sich selbst zu hinterfragen und herauszufinden, was einem wirklich wichtig ist, ohne sich von äußeren Erwartungen oder gesellschaftlichen Normen leiten zu lassen. Und es ist wichtig zu erkennen, dass sich diese Balance im Laufe des Lebens ändern kann, je nach Lebenssituation, Prioritäten und persönlichen Entwicklungen.


Am Ende sollten wir akzeptieren, dass jeder Mensch seinen eigenen Lebensweg geht und dass es auch vollkommen in Ordnung ist, ungewöhnliche Wege zu gehen. Ich halte es für wichtig, die eigenen Werte und Ziele – unabhängig von gesellschaftlichen Normen – zu erkennen und ihnen soweit wie möglich zu folgen, solange sie niemandem schaden. Und gleichzeitig die Werte und Ziele anderer Menschen zu respektieren – selbst wenn diese stark von den eigenen abweichen.



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